Selbsterfahrung im Nagelstudio

Von außen sehen die Klassiker ja meistens allerlieblichst bis ehrfurchtsgebietend aus und sind eine Freude für das werte Publikum. Wie aber steht es um die Innenansichten? Ich bin gerade auf dem Balkan unterwegs. Das „Blogmobil“ von Heimo Müller ist ein Steyr 680 aus den späten 1960er Jahren.

Ausgangspunkt: Das Puch-Museum

Ausgangspunkt: Das Puch-Museum

Graz – Belgrad ergibt eine Tagestour. Die etwa 580 Kilometer sind mit einem 4×4-Gerät, das maximal 80 Km/h schafft, nicht so rasch zu machen. Da ist also Langmut gefordert. Man sieht stets links Fernlaster an einem vorbeiziehen. Manche der Profis recken sich auf gleicher Höhe in ihren Sitzen, wacheln grüßend mit dem Arm. Manche grüßen mit den Bremslichtern, wenn sie sich wieder einreihen.

Der Militär-LKW hat uns einige amüsante Momente eingebracht. Ein Maut-Wächter fragte uns, ob wir in die Ukraine unterwegs seien. Natürlich haben wir grinsend zugestimmt.

An einer Mautstelle gab die Frau den gereichten Zehn-Euro-Schein zurück, sagte „Vojska, eh?“ („Armee, hm?“) Wir sahen sofort ganz finster drein und nickten. Sie druckte ein Ticket mit Nullsumme aus. Die Armee fährt auf diesem Abschnitt mautfrei.

Beograd (Serbien)

Beograd (Serbien)

In der Kabine des alten Steyr ist kaum mehr Platz als in einem PKW, sieht man vom Motorgehäuse ab, auf das der Fahrzeugkommandant steigen kann, um in der Dachluke einen besseren Überblick zu gewinnen.

Mangels entsprechender Ablagen wird einem das Mineralwasser durch die Motorwärme zum gut temperierten Tee. Die Fuhre ist so laut, daß man die ersten ein, zwei Stunde auf einen Gehörschutz nicht verzichten möchte.

An der Donau gelandet...

An der Donau gelandet…

Aber irgendwann hat das Gehirn die Wahrnehmung heruntergeregelt. Dann erträgt man das Nageln des Dieseltriebewerkes ganz gut. Die Hütte ist gewissermaßen ein spartanisches Nagelstudio. Eine strenge Kammer für Unternehmungslustige. Doch auf schlechten Straßen haut es einem früher oder später unweigerlich die ersten Plomben aus den Zähnen. Man sollte also beim Reiseantritt generell in guter Verfassung sein.

Geht es gleichmäßig dahin, kann der Fahrer den Fuß vom Pedal nehmen und regelt die Drehzahl mit dem Handgashebel. Dann dauert es nicht lange und man meint, in einem Flugzeug aus den 1940ern zu hocken. So muß es sich angehört haben, wenn eine mächtig motorisierte Propellermaschine sich durch den Himmel schraubt.

Ich war fast überzeugt, an der Schengen-Grenze würde man uns herauswinken und gründlich in Augenschein nehmen. Nichts dergleichen. Der letzte Grenzer fragte uns: „Zwei Personen?“ Die mündliche Versicherung nahm er uns anstandslos ab. Die Zöllnerin winkte uns durch. Jeder Versuch, möglichst kühn und gefährlich auszusehen, war auf serbischem Boden offenbar nur eine liebliche Pose.

Heimo Müller

Heimo Müller

Es wurde ein Ritt über elf Stunden. Der sachte Verschleiß an zwei in die Jahre gekommenen Herren läßt sich mit rabiatem Kaffee und gut gekühltem Bier passabel mildern. Wovon ich zur Zeit träume? Von einer kleinen Reise in einem Austro-Daimler Bergmeister. (Träumen kostet ja nichts.)

About sekretaer

Martin Krusche, Künstler, siehe: [link]